Zurück zur Übersicht

Psychotherapeutische Versorgung in Deutschland ist besser als vermutet

Große Umfrage zu Wartezeiten und Therapie-Effekten

Berlin, Februar 2024 – Mehr als 90 Prozent aller Patientinnen und Patienten, die eine psychotherapeutische Behandlung suchen, führen nach eigenen Angaben innerhalb von drei Monaten ein Erstgespräch und beginnen in diesem Zeitraum mit regelmäßigen Sitzungen. Diese Wartezeit halten zwei Drittel der Betroffenen für kurz oder angemessen, wie eine großangelegte Befragung unter 2.200 Therapiesuchenden zeigt. Die häufigsten Gründe für eine Psychotherapie sind gedrückte Stimmung, gefolgt von Angststörungen, psychosomatischen Beschwerden und der Bewältigung schwerer Belastungen. Die Ergebnisse der Umfrage erläuterte ein Experte auf der heutigen Online-Pressekonferenz im Vorfeld des Deutschen Kongresses für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie.

Die gesamte Pressemitteilung finden Sie hier:

Zurück zur Übersicht

Online-Shoppen, Chatten, Internet-Pornografie

Digitale Süchte: Immer mehr Erwachsene suchen Hilfe

Berlin – Nach Pandemie und Lockdowns suchen immer mehr Erwachsene mit digitalem Suchtverhalten psychosomatische Spezialambulanzen um Hilfe auf. Die Betroffenen verbringen acht bis zehn Stunden täglich mit Chatten, sozialen Netzwerken, Computerspielen, Internet-Pornografie oder Online-Shopping und vernachlässigen wichtige Lebensbereiche – vielen droht Arbeitsplatzverlust, Trennung oder Verschuldung. Welche Wege aus der digitalen Sucht führen, berichtete ein Experte am 26. April 2023 auf der Vorab-Online-Pressekonferenz zum Deutschen Kongress für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie.

Spezialeinrichtungen wie die Ambulanz für Spielsucht an der Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Universitätsmedizin Mainz registrieren seit der Pandemie gestiegene Zahlen von Patientinnen und Patienten mit digitalen Süchten. „Während der Lockdowns brachen gewohnte Strukturen weg, und manche füllten die Leerlaufzeiten mit Internetanwendungen, die sich zur Abhängigkeit entwickelten“, berichtet Dr. sc. hum. Dipl.-Psych. Klaus Wölfling. „Seit 2021 verzeichnen wir einen Zuwachs von 25 Prozent bei den Behandlungen von Erwachsenen im Alter von 30 bis 67 Jahren“, erläutert der Leiter der Ambulanz für Spielsucht. „Die Pandemie hat wie ein Katalysator gewirkt.“

Krisen und Konflikte sind Warnzeichen
Bis in das Rentenalter reiche das Klientel, das jetzt behandelt werde. Gemein ist den Betroffenen der Kontrollverlust, ein Merkmal jeder Sucht. „Sie kommen in die Ambulanzen und sagen: Ich schaffe es nicht mehr, meinen Internetkonsum zu kontrollieren“, so Wölfling. Viele berichten über die zwanghafte Angst, etwas zu verpassen, die „Fear of missing out“ (FOMO). „Abhängige können dann etwa nicht mit dem Egoshooter aufhören, weil sie fürchten, ihren Spielstand zu verlieren und aus Spielergruppen herauszufallen“, erläutert der Psychologe. Es kommt zur Vernachlässigung von Beziehung oder Arbeit, zu Krisen und Konflikten. „Solche negativen Veränderungen sind deutliche Warnzeichen für ein Suchtverhalten“, so Wölfling.

Hirn-Scans zeigen Dopaminschübe bei Likes
Aktuelle Zahlen, wie viele Menschen unter digitalen Süchten leiden, liegen nicht vor – die letzte repräsentative Studie stammt aus 2011 und identifizierte ein Prozent der Bevölkerung. Wissenschaftlich ist Suchtverhalten jedoch klar umrissen. „Über mindestens zwölf Monate müssen fünf oder mehr von insgesamt neun psychischen Kriterien erfüllt sein“, erläutert Wölfling. Auch bestätigen Hirn-Scans, dass die Internetaktivität das Belohnungssystem im Gehirn aktiviert – ein typisches Suchtmuster. „Wir sehen im Ergebnis von fMRT-Studien den Dopaminschub, wenn ein Like auf einen Post erfolgt oder bei Nach-richten das blaue Häkchen für ‚gelesen‘ erscheint“, berichtet der Psychologe. „Diese Erregung wird immer wieder gesucht, es entsteht ein Teufelskreis.“ Inzwischen sind Internet-, Computer- oder Glücksspielsucht im ICD-11 als Suchterkrankungen aufgenommen worden und damit der Kokain- oder Alkoholabhängigkeit gleichgestellt. Im Jahr 2023 soll dies auch für Deutschland gelten.

Rentner*innen werden oft aus Einsamkeit internetsüchtig
Es gibt Präferenzen bei digitalen Süchten. Bei der Generation Y etwa, den zwischen 1980 und 1999 Geborenen, sind vor allem Online-Rollenspiele und Egoshooter beliebt. „Sie sind mit diesen Spielen aufgewachsen“, berichtet Wölfling. Generell nutzen Männer tendenziell häufiger Online-Pornografie, Computer- oder Glücksspiele, während bei Frauen eher Online-Kaufsucht, Glücksspiele, soziale Netzwerke und Messenger dominieren. „Im Rentenalter ist Einsamkeit ein großer Treiber für Digitalsüchte, dann wird über Spiele ein soziales Netzwerk gefunden“, stellt Wölfling fest. Dass sich eine Sucht entwickelt hat, fällt häufig den Kindern der Rentner*innen auf. „Sie registrieren, dass die Eltern nicht mehr abwaschen oder einkaufen gehen“, schildert der Mainzer Diplompsychologe.

Ruhephasen einhalten – „eine der wichtigsten Aufgaben in unserer digitalen Zeit“
Klaus Wölfling empfiehlt zur Prävention, auf ausgedehnte Ruhephasen zu achten – und das nicht nur zur Schlafenszeit. „Wir benötigen Ruhephasen für unsere gesundheitliche und seelische Balance“, sagt der Wissenschaftler. „Diese Phasen für sich selbst zu finden und umzusetzen, ist sicherlich eine der wichtigsten Aufgaben in unserer modernen digitalen Zeit.“ Darüber hinaus können Apps wie „One Sec“ sinnvoll sein, die der Nutzung sozialer Netzwerke vorgeschaltet werden. „Sie ploppen auf, wenn man in das soziale Netzwerk eintauchen will und rufen uns die Möglichkeit in Erinnerung, statt digitaler Ablenkung einfach mal Langeweile oder Einsamkeit zu ertragen“, sagt Wölfling. „Diese Zu-stände sind nichts Negatives. Es ist wichtig, sie aushalten zu können.“

Stationärer Entzug bei starkem Suchtverhalten
Bei stark ausgeprägtem Suchtverhalten ist eine stationäre Therapie angebracht, die meist sechs bis acht Wochen dauert. „In solchen Fällen kann dem Suchtverhalten nicht mehr im häuslichen Umfeld begegnet werden, die Patient*innen müssen erst einmal vom Medium Internet entzogen werden“, betont Wölfling. Dabei können Entzugserscheinungen wie Schlafstörungen, innere Unruhe, Gereiztheit und Aggressivität auftreten. „Häufig kommen erst in der Abstinenz die eigentlichen Probleme zum Vorschein, die hinter der Internetsucht liegen – soziale Unsicherheiten oder Versagensängste beispielsweise“, sagt Wölfling.

Sexualität ohne pornografisches Bildmaterial ausleben
Ob stationäre oder ambulante Therapie – Ziel ist die Abstinenz. „Damit ist nicht die komplette Abstinenz vom Internet gemeint, das wäre ja auch völlig lebensfremd“, erklärt Wölfling. „Sondern die Abstinenz vom Problemverhalten.“ Die Patientinnen und Patienten lernen beispielsweise, Sexualität ohne Internet-Pornografie zu leben, in Form partnerschaftlich gelebter Sexualität oder Selbstbefriedigung ohne Bildvorlage. „Dafür nutzen wir Verhaltens- und Gruppentherapie“, so Wölfling. „Wir konnten in Mainz in einer randomisiert kontrollierten Studie wissenschaftlich sehr gute Effekte einer derartigen Therapie nachweisen.“ Die Multicenter-Studie zeigt, dass die Behandlung es 10-fach wahrscheinlicher macht, am Ende abstinent und zufriedener zu sein.

Selbsttest zum Computerspiel-Verhalten
Auf jeden Fall sollten Betroffene professionelle Hilfe suchen – etwa in einer Suchtberatung oder bei einem Arzt oder Psychologen, rät der Experte. „Es sollte eine Einschätzung erfolgen, ob wir es noch mit problematischem oder schon mit Suchtverhalten zu tun haben“, sagt Wölfling. Weitere Informationen, darunter auch ein Selbsttest zum Computer-spiel, unter: Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie – Schwerpunkt Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie | Psychosomatik » Klinische Partner » Poliklinik und Hochschulambulanzen » Ambulanz für Spielsucht (unimedizin-mainz.de)
Der Deutsche Kongress für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie findet vom 3. bis 5. Mai 2023 in der Urania Berlin e.V. statt. Weitere Informationen: https://deutscher-psychosomatik-kongress.de/
Bei Abdruck Beleg erbeten.
Kontakt für Journalist*innen:
Deutscher Kongress für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie
Pressestelle
Kerstin Ullrich
Postfach 30 11 20
70451 Stuttgart
Tel.: 0711 8931-641
ullrich@medizinkommunikation.org

Zurück zur Übersicht

Langzeitbeschwerden nach Corona-Infektion

Psychosoziale Faktoren erhöhen Risiko für Long-COVID um 50 Prozent

Berlin – Etwa 20 Prozent aller Menschen, die sich mit SARS-CoV-2 infiziert haben, leiden noch sechs Monate nach der Erkrankung unter anhaltenden körperlichen Beschwerden.1 Eine eindeutige organische Ursache für dieses Phänomen, das als Long- oder Post-COVID bezeichnet wird, konnte bisher nicht gefunden werden. Erwiesen ist jedoch, dass biopsychosoziale Faktoren wie depressive Symptome, Angst, negative Stressbelastung und Einsamkeit das Risiko für Long-COVID um bis zu 50 Prozent erhöhen. Was daraus folgt, erläutert eine Expertin morgen auf der Vorab-Online-Pressekonferenz zum Deutschen Kongresses für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie. Teilnahmelink: https://attendee.gotowebinar.com/register/8076176119369535577

Long-COVID ist gemäß S1-Leitlinie definiert als das Anhalten von Symptomen nach einer COVID-19 Infektion über die Dauer von 4 Wochen. Nach einem Zeitraum von 12 Wochen spricht man von Post-COVID Syndrom. Welche Ursachen den Beschwerden zugrunde liegen, wird in der Fachwelt lebhaft diskutiert beforscht – handelt es sich um biologische Ursachen oder eher psychosomatisch Trigger? „Einige methodisch starke wissenschaftliche Arbeiten haben jetzt herausgearbeitet, dass psychosoziale und psychologische Faktoren eine erhebliche Rolle bei der Entstehung und Aufrechterhaltung des Long-COVID Syndroms spielen“, berichtet Dr. med. Christine Allwang, Leitende Oberärztin an der Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Klinikum rechts der Isar der TU München.

So zeigt eine Studie2, dass Menschen, die vor einer Infektion mit dem Coronavirus unter depressiven Symptomen, Ängstlichkeit, der Sorge vor einer Infektion, Stresserleben oder Einsamkeit litten, ein erhöhtes Risiko für das Auftreten einer Long-COVID-Symptomatik hatten. „Bei Vorhandensein von zwei der genannten Distress-Faktoren war das Risiko um bis zu 50 Prozent erhöht“, berichtet Allwang. Grundlage für diese Studie bildeten die Daten von fast 55 000 Teilnehmenden dreier großer Register-Studien, die im April 2020 noch keine COVID-Infektion erlitten hatten und zu psychosozialen Faktoren befragt worden waren. Sechs Prozent meldeten in den 47 darauffolgenden Wochen eine COVID-Infektion und wurden weiter evaluiert.

„Das sind Ergebnisse, die auf umfassenden Zahlen beruhen und die man nicht wegdiskutieren kann“, betont Allwang. Dass psychosoziale Faktoren eine wichtige Rolle spielen, kann die Münchener Post-COVID-Spezialistin aus eigener Erfahrung bestätigen. „Sehr viele Menschen, die unter Long-COVID leiden, erlebten vor der Infektion starken psychosozialen Alltagsstress, etwa als Alleinerziehende, im Beruf, durch die Pflege von Angehörigen oder durch eine Trennung“, so Allwang, die das Forschungsprojekt „PsyLoCo“ zur Entwicklung einer Therapie für Long-Covid koordiniert. „Der Körper reißt die Betroffenen quasi aus dem Leben und zwingt sie, sich selbst in einem Ausmaß zuzuwenden, das sie sich zuvor nicht erlaubt hätten.“ 

Bei anderen Risikogruppen für Long-COVID stellt die psychische Verfassung ebenfalls ein herausragendes Merkmal dar. „Es kristallisiert sich heraus, dass ein erheblicher Anteil der Long-COVID-Betroffenen eine Vorbelastung wie Depression oder Angststörung aufweisen“, stellt Allwang fest. Auch die Erwartung, nach einer Covid-Infektion mit anhaltenden Körperbeschwerden zu tun zu haben, ist ein Risikofaktor für Post-Covid. Zu diesem Ergebnis kommt eine Längsschnittstudie, die 1792 Personen aus Gesundheitsberufen erfasste.3 „Es zeigte sich, dass sich bei Teilnehmenden, die Sorge vor einer Infektion hatten, Körperbeschwerden verstärkten beziehungsweise diese stärker wahrgenommen wurden“, erläutert Allwang. „Negative Erwartung ist ebenfalls ein Risikofaktor für anhaltende Belastung.“

Der Deutsche Kongress für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie findet vom 3. bis 5. Mai 2023 in der Urania Berlin e.V. statt. Weitere Informationen: https://deutscher-psychosomatik-kongress.de/


Quellen: 
1. Lemogne C, Gouraud C, Pitron V, Ranque B. Why the hypothesis of psychological mechanisms in long COVID is worth considering, Journal of Psychosomatic Research, Volume 165, 2023
2. Wang S. et al. Associations of depression, anxiety, worry, perceived stress and Loneliness prior to infection with risk of Post-COVID-19 conditions. Jama Psychiatry, 79/11, 2022, 1081–1091. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/36069885/
3. Engelmann P et al. Risk factors for worsening of somatic symptom burden in an prospective cohort during the COVID-19 pandemic. Frontiers in Psychology, 2022. https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/fpsyg.2022.1022203/full

Bei Abdruck Beleg erbeten. 

****************************************************************************

Terminhinweis: 
Online-Pressekonferenz anlässlich des 
Deutschen Kongresses für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie
Termin: Mittwoch, 26. April 2023, 12.00 bis 13.00 Uhr
Teilnahmelink: https://attendee.gotowebinar.com/register/8076176119369535577

Themen und Referierende: 

Highlights des Deutschen Kongresses für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie
sowie
Wie kindliche Traumata den biologischen Alterungsprozess beschleunigen – 
und was uns davor schützt
Professor Dr. med. Dipl.-Psych. Manfred Beutel
Kongresspräsident; Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Universitätsmedizin Mainz 

Long Covid: Warum psychosoziale Aspekte wichtig sind
Dr. med. Christine Allwang
Leitende Oberärztin an der Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Klinikum rechts der Isar der TU München

Neue Süchte: Shooter, Chatten, Pornografie – was tun, wenn die elektronischen Medien zur Abhängigkeit werden?
Dr. sc. hum. Dipl.-Psych. Klaus Wölfling
Leiter der Ambulanz für Spielsucht, Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Universitätsmedizin Mainz

Autoritarismus und Verschwörungstheorien – psychologische und soziologische Aspekte eines neuen Protesttypus
Professor Dr. med. Stephan Herpertz
Präsident des Deutschen Kollegiums für Psychosomatische Medizin (DKPM); Direktor der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie des LWL-Universitätsklinikum, Ruhr-Universität Bochum

Moderation: Kerstin Ullrich, Pressestelle, Deutscher Kongress für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie

AKKREDITIERUNGSFORMULAR

O Ich möchte den Kongress in Berlin besuchen. Bitte akkreditieren Sie mich. 

O Ich werde die Online-Pressekonferenz zum Deutschen Kongress für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie besuchen. Anmeldung unter: https://attendee.gotowebinar.com/register/8076176119369535577

O Ich kann leider nicht teilnehmen. Bitte schicken Sie mir das Informationsmaterial für die Presse.

O Ich möchte ein Interview mit ___________________________ führen. Bitte vermitteln Sie mir einen Kontakt.

O Bitte informieren Sie mich kontinuierlich über die Themen des Kongresses.

O Bitte schicken Sie mir keine Informationen mehr.


Meine Kontaktdaten:
NAME:
MEDIUM/RESSORT:
ADRESSE:
TEL:
E-MAIL:


Kontakt für Journalisten:
Deutscher Kongress für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie
Pressestelle 
Kerstin Ullrich, Corinna Deckert
Postfach 30 11 20
70451 Stuttgart
Tel.: 0711 8931-641
ullrich@medizinkommunikation.org
deckert@medizinkommunikation.org


Wenn Sie keine Informationen zum Psychosomatik-Kongress mehr wünschen, senden Sie bitte eine E-Mail an: deckert@medizinkommunikation.org.

Zurück zur Übersicht

Belastende Kindheitserfahrungen lassen uns schneller altern

Psychotherapie schützt vor den Folgen früher Traumata und beugt dem Abbau körperlicher Funktionen vor

Berlin, April/Mai 2023 – Jeder fünfte ältere Mensch leidet unter seelischen Erkrankungen. Während Psychotherapie von dieser Bevölkerungsgruppe lange Zeit wenig in Anspruch genommen wurde, findet jetzt ein Wandel statt, und es kommen mehr Ältere in Behandlung. Damit erhalten sie nicht nur ihre psychische, sondern auch ihre körperliche Gesundheit – denn traumatische Erlebnisse beschleunigen die Alterung und kosten gesunde Lebensjahre. Der Zusammenhang von Altern, Psyche und Körper ist Schwerpunktthema des Deutschen Kongresses für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, der unter dem Motto „Altern im Wandel – Perspektiven und Handlungsfelder“ stattfindet. Auf einer Vorab-Online-Pressekonferenz am 26. April informieren Expertinnen und Experten über neue Erkenntnisse dazu. Teilnahmelink: https://attendee.gotowebinar.com/register/8076176119369535577

Zwischen 20 und 30 Prozent der deutschen Bevölkerung berichten in großen Studien über Missbrauch, Misshandlung, Vernachlässigung oder dysfunktionale Familienumgebungen mit Gewalt oder Substanzmissbrauch. „Solche Kindheitsbelastungen haben nicht nur ungünstige Auswirkungen auf emotionale Bindungsfähigkeit und soziale Kompetenzen. Sie hinterlassen auch negative biologisch messbare Spuren im Körper“, sagt Kongresspräsident Professor Dr. med. Dipl.-Psych. Manfred Beutel. „Dazu zählt etwa die chronische Aktivierung des Stresssystems und die Beeinträchtigung der Gehirnentwicklung“, so der Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Universitätsmedizin Mainz. 

Die schädlichen Folgen reichen bis auf die molekularbiologische Ebene, wie die Forschung nachweisen konnte. So finden sich bei Personen, die früh psychische Traumata erlebt haben, verkürzte Telomere – das sind die Schutzkappen an den Enden der Chromosomen. Kürzere Telomere werden mit einer geringeren Lebenserwartung in Verbindung gebracht. „Traumatische Erlebnisse lassen unseren Körper schneller altern“, stellt Beutel fest. „Sie können die Immunabwehr beeinträchtigen, Herzkreislauferkrankungen fördern und die Muskelkraft schneller schwinden lassen, insbesondere, wenn die Traumata zu psychischen Erkrankungen führen.“ Am Ende, so der Kongresspräsident, steht der Verlust gesunder Lebensjahre. 

Doch es gibt Schutzfaktoren, die wir nutzen können. „Eine sichere Bindung, positive Erwartungen von Hilfe und Unterstützung in schwierigen Lebenssituationen entwickeln sich in der Beziehung zu Vertrauenspersonen und können diesen negativen Einflüssen von ungünstigen Lebenserfahrungen entgegenwirken“, erklärt Beutel. Die Existenz einer solchen Vertrauensperson ist allerdings nicht immer gegeben. „Das können wir nur bedingt beeinflussen“, so Beutel. Darüber hinaus kann Psychotherapie bei der Aufarbeitung der Traumata helfen, soziale Einbindung und Resilienz fördern. „Sie kann auch einen gesünderen Umgang mit dem eigenen Körper fördern und dadurch negativen körperlichen Folgen entgegenwirken“, so Beutel. Diese Option stehe allen Betroffenen offen.

Zunehmend ergreifen auch Ältere die Chance. „Selbst wenn ältere Menschen unter erheblichen psychosozialen Belastungen zu leiden hatten oder ihres Lebens überdrüssig wurden, haben sie Psychotherapie bis vor einigen Jahren wenig in Anspruch genommen“, berichtet Beutel. Das habe mit mangelnder Offenheit der Betroffenen zu tun gehabt, die nicht gewohnt waren, über ihre Gefühle mit fremden Personen zu sprechen. „Aber auch Altersstereotypen der Therapeut*innen trugen dazu bei, die das Änderungspotenzial älterer Menschen durch Psychotherapie unterschätzten“, betont der Mainzer Experte. „Hier gibt es einen Wandel, und es kommen mehr ältere Menschen in Behandlung.“

Der Bedarf ist da. „Verluste von Nahestehenden, eigene Krankheit oder die unerwartete Konfrontation mit unverarbeiteten Belastungen können im Alter seelische Erkrankungen hervorrufen, vor allem, wenn die Widerstandskraft oder Selbständigkeit nachlässt“, weiß der Kongresspräsident. Durch Einbußen der Gesundheit oder Fähigkeiten können Ängste oder Depressionen wieder auftreten oder sich verschlimmern. „In diesem Sinne ist Psychotherapie bei Älteren nicht nur zur Behandlung seelischer Störungen angezeigt, sondern dient auch der Erhaltung von Aktivität und Gesundheitsverhalten und damit der Vorbeugung des Abbaus geistiger und sozialer Funktionen“, betont Beutel. „Die Chancen, dass die Generation Babyboomer noch fitter und zufriedener altert als frühere Generationen, stehen damit gut.“ 

Der Deutsche Kongress für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie findet vom 3. bis 5. Mai 2023 in der Urania Berlin e.V. statt. Weitere Informationen: https://deutscher-psychosomatik-kongress.de/

Bei Abdruck Beleg erbeten. 

Terminhinweis: 
Online-Pressekonferenz anlässlich des 
Deutschen Kongresses für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie
Termin: Mittwoch, 26. April 2023, 12.00 bis 13.00 Uhr
Teilnahmelink: https://attendee.gotowebinar.com/register/8076176119369535577

Kontakt für Journalist*innen:
Deutscher Kongress für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie
Pressestelle 
Kerstin Ullrich 
Postfach 30 11 20
70451 Stuttgart
Tel.: 0711 8931-641
ullrich@medizinkommunikation.org

Zurück zur Übersicht

Long Covid – wo bleibt die Psychosomatik?

Die Debatte darüber, was die zum Teil ausgeprägten Beschwerden verursacht, an denen Menschen nach durchgemachter Covid-19-Infektion leiden und die mit Begriffen wie Long und Post Covid bezeichnet werden, sind heftig. Sehr viele Betroffene, Selbsthilfegruppen und auch Mediziner vertreten vehement einseitig biologische Ursachenvorstellungen, verbunden mit manchmal geradezu höhnischer Ablehnung psychosomatischer Aspekte dieses Beschwerdesyndroms. Es gibt dabei Parallelen zur Debatte um Myalgische Encephalomyelitis/ Chronic Fatigue Syndrom (ME/ CFS), es wird auch davon gesprochen, dass viele Patienten mit Long Covid auch an ME/ CFS leiden. Leider finden diese Stimmen auch medial erhebliche Aufmerksamkeit, werden z.B. von E.v. Hirschhausen propagiert. Das Ganze ist kein spezifisch deutsches Phänomen, findet in vergleichbarer Weise in vielen Ländern statt.

Als Psychosomatische Mediziner ist uns klar, dass im Erleben anhaltend belastender Körperbeschwerden, wie beim Long Covid Syndrom, neben möglichen, ggf. noch unentdeckten biologischen, z.B. immunologischen Faktoren IMMER auch psychosoziale Faktoren mitbestimmend sind, angefangen mit Aufmerksamkeits- und Erwartungseffekten über psychische Komorbiditäten und persönlichkeitsstrukturelle Faktoren, bis hin zu aktuellen und biographischen Stressoren. In diesem biopsychosozialen Verständnis ist Long Covid als ein funktionelles somatisches Syndrom anzusehen. Wir wissen aber auch, dass wir mit unseren überholten Modellen zur rein psychogenen Verursachung solcher Körperbeschwerden historisch viel Angriffsfläche geboten haben für die in der heutigen Debatte oft polemisch eingesetzte, schlicht falsche Gleichsetzung von psychosomatisch und psychogen.

Was aber tun wir, um den verkürzenden und verfälschenden, zum Teil verunglimpfend anti-psychosomatischen Äußerungen nicht nur intern zu widersprechen, sondern auch (fach-)öffentlich etwas entgegenzusetzen? Hier gibt es verschiedene Ebenen: zum einen vertreten Psychosomatikerinnen und Psychosomatiker unsere Sicht zu Long Covid in bundesweiten interdisziplinären Forschungsprojekten und –verbünden, ein großes multizentrisches Verbundprojekt zu Long Covid (PsyLoCo, Sprecherin Dr. C. Allwang, München) ist von der Psychosomatik aus koordiniert. Es wurden von Essener und Hamburger Gruppen auch bereits interdisziplinäre Studien mit psychosomatischer Federführung bzw. Beteiligung publiziert (Fleischer et al. 2022, Engelmann et al. 2022), die die Bedeutung psychosozialer Faktoren für das Risiko, an Long Covid zu erkranken, bzw. für das Krankheitsbild selbst betonen. In einem großen Artikel der Süddeutschen Zeitung zu Long Covid Anfang September wurden psychosomatische Experten und Sichtweisen so deutlich präsentiert, dass sich der Autor einem erheblichen Shitstorm der Anhänger rein biologischer Sichtweisen ausgesetzt sah (Bartens 2022). Mitglieder des Gesundheitsausschusses des Bundestags wurden auch kontaktiert und mit Material zu den Themen versorgt.
Da die heftig anti-psychosomatischen und auch anti-psychotherapeutischen Haltungen traditionell in der Gruppe der ME/ CFS –Verfechter besonders ausgeprägt sind, ist es wichtig, dass auch hier die Psychosomatik Flagge zeigt. So wurde die AWMF-S3-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin zu Müdigkeit von verschiedenen Patientenselbsthilfegruppen und medizinischen Verfechtern des biologischen ME/ CFS-Konzepts so stark geprägt, dass dort z.B. beim Vorliegen von ME/ CFS von Psychotherapie und gestufter Aktivierung als Behandlungsform aktiv abgeraten wurde. Auf Initiative von DGPM und DKPM wurde daraufhin ein auch von der DGPPN und der DGIM (Innere Medizin) mitgetragenes Sondervotum verfasst, das diesen Sichtweisen widerspricht und das Eingang in die Leitlinie findet. Mitglieder der DGPM sind auch Koautoren bei einer internationalen Publikation mit mehr als 50 Koautoren, in der gravierende methodische Fehler der Leitlinie zu ME/ CFS, die die englische Leitlinienorganisation NICE im letzten Jahr veröffentlicht hat und auf die sich viele Verfechter der biologischen Sichtweisen beziehen, dargestellt werden. Auch zu einem Vorbericht des IQWiG zu ME/ CFS, der sich stark auf die NICE-Leitlinie stützt, zum Glück aber eigene, für Psychotherapie und gestufte Aktivierung etwas günstigere Schlussfolgerungen zieht, nehmen DGPM und DKPM mit dem Ziel Stellung, dass in der dortigen Bewertung der Nutzen von Psychotherapie noch deutlicher betont wird.

Noch mehr Aktivität wäre sicher wünschenswert, stößt aber an Grenzen von zeitlichen und menschlichen Ressourcen. Immerhin: wir wollten zeigen, dass die Psychosomatische Medizin ihre Stimme durchaus an verschiedenen Stellen erhebt – und wir wollen Ihnen, liebe Kollegin, lieber Kollege, Mut machen, dies in ihrem Umfeld auch zu tun, wann immer sich die Gelegenheit bietet. Das sind wir unserm Fach, vor allem aber auch den betroffenen Patienten und Patientinnen schuldig.

Bartens W. Was zählt mehr: Laborwerte oder subjektives Krankheitserleben. Süddeutsche Zeitung vom 9.9.2022.

Engelmann P, Löwe B, Brehm TT, Weigel A, Ulrich F, Addo MM, Schulze zur Wiesch J, Lohse AW, Toussaint A. Risk factors for worsening of somatic symptom burden in a prospective cohort during the COVID-19 pandemic. Front Psychol 2022; 13:1022203.

Fleischer M, Szepanowski F, Tovar M, Herchert K, Dinse H, Schweda A, Mausberg AK, Holle-Lee D, Köhrmann M, Stögbauer J, Jokisch D, Jokisch M, Deuschl C, Skoda EM, Teufel M, Stettner M, Kleinschnitz C. Post-COVID-19 Syndrome is Rarely Associated with Damage of the Nervous System: Findings from a Prospective Observational Cohort Study in 171 Patients. Neurol Ther. 2022 Dec;11(4):1637-1657.

White P et al. Eight major errors in the review process and interpretation of the evidence in the NICE guideline for chronic fatigue syndrome and myalgic encephalomyelitis. JNNP 2022, in review.

Peter Henningsen, München

Zurück zur Übersicht

Solidaritätserklärung mit der Ukraine

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

für uns alle Undenkbares ist passiert – der Krieg in der Ukraine. Undenkbar, weil fast alle Menschen unserer Gesellschaft in ihrem Leben keinen Krieg erlebt haben und wir in den letzten 60 Jahren zumindest in Europa ein friedliches Miteinander erlebt und gelebt haben. 
Ein Krieg stand zunehmend außerhalb unseres Vorstellungsvermögens, noch unvorstellbarer, dass ein politisches System, ein Präsident mit mittlerweile diktatorischem Gebaren und einer Zustimmung des überwiegenden Teils seiner Bevölkerung einen Krieg führt, der sich vornehmlich gegen die Zivilgesellschaft richtet.
Zusammen mit der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Psychologie (DGMP) hat das DKPM eine Solidaritätserklärung verfasst, der sich neun weitere Fachgesellschaften aus Psychiatrie, Psychosomatischer Medizin, Psychologie, Psychotherapie und Medizinischer Soziologie angeschlossen haben.

Wir möchten uns mit allen Menschen und Institutionen solidarisch erklären, den Angriffskrieg der Russischen Föderation unverzüglich zu beenden.

Herzliche Grüße

Stephan Herpertz und Anja Mehnert-Theuerkauf